Tanzen, Tanzen und nochmals Tanzen: So sieht Muna Qasems Leben aus. Die werdende Tänzerin verbringt für gewöhnlich fast jeden Tag im Studio und im Training. Die Corona-Krise hat sie zum Stillstand gezwungen. Tanzen in der eigenen Wohnung war fast unmöglich. Jetzt konnte das Training wiederbeginnen. Wir haben die junge Frau getroffen und mit ihr über die tanzfreie Zeit gesprochen.
Mit schnellen Schritten huscht eine zierliche Person durch die Gänge des Tanzwerks 101. Ihr lockerer Dutt aus dunkelbraunen Locken hüpft im Takt der Schritte und droht auseinanderzufallen. Sie öffnet ein gelbes Schliessfach und allerlei Kleider platzen daraus hervor. „Ich komme gleich“, ruft die kleine Person durch den Gang. Gleichzeitig zieht sie so schnell als möglich den Rest des Ballett-Tenues aus, Strumpfhosen und ein Body, und schlüpft in ein buntes Hemd und Sporthosen. Sofort werden alle Kleidungsstücke zurück ins Fach gestopft. Türe zu. „Ich bin fertig“, sagt Muna Qasem, springt auf und ein strahlendes Lachen zieht über ihr Gesicht.
Muna Qasem ist 20 Jahre alt, kommt aus Winterthur und absolviert zurzeit eine zweijährige tänzerische Ausbildung im Tanzwerk 101 in Zürich. Im Normalfall besteht ihr Leben deshalb fast nur aus einem: Tanzen.
Der Corona-Lockdown hat sie dann ziemlich aus der Bahn geworfen. „Ich musste weinen als ich erfahren habe, dass ich auf unbestimmte Zeit nicht mehr Tanzen kann“, erzählt Muna Qasem im Video.
Sie ist ein Mensch der kaum stillsitzen kann und beim Sprechen gestikuliert sie viel. Dazu kommt ihr chaotisches Wesen, das sich sowohl in ihrer Wohnung wie auch in ihrem Zeitmanagement bemerkbar macht.
Deshalb ist ihr mehr oder weniger geheimes Talent, auf den Zug rennend noch ihre Schuhe anzuziehen. Dass sie dabei nicht auch noch die Zähne putzt, liegt wohl ausschliesslich daran, dass sie dafür eine Hand mehr bräuchte. Von einem Tag auf den anderen dazu verdonnert zu sein, still zuhause zu hocken, war für sie dementsprechend völlig entgegen ihrer Natur.
«Bei einer Übung habe ich mir eine Zehe gebrochen»
Kurzzeitig freute sie sich darüber, endlich mal Zeit zum Nichtstun zu haben. Während sie vor dem Lockdown sieben Tage die Woche in der Schule war, hatte sie nun plötzlich Zeit zum Lesen, viel schlafen und Fernsehen. Ausnahmsweise einmal keine körperliche Anstrengung. Schon sehr bald fehlte das Tanzen aber. Sie versuchte deshalb in ihrer Wohnung Übungen zu machen.
Unter anderem funktionierte sie kurzerhand Möbel zu einer Ballettstange um. Wegen Platzmangels stiess sie dabei aber überall an, also räumte sie so viel Platz wie möglich frei. Besser wurde es allerdings nicht. «Am Schluss habe ich mir sogar eine Zehe gebrochen», erzählt sie. Dazu kamen zahlreiche blaue Flecken. Der Platz hat einfach gefehlt. Das einzige was ihr blieb, waren Kraftübungen und Velofahren, um immerhin in Form zu bleiben.
Auf den Lockdown folgt ein Motivationsschub
Nun ist der Lockdown vorbei, die Tanzstunden haben Mitte August wieder begonnen. Während sich das Training vor dem Lockdown sehr anstrengend angefühlt hat, kann sie die Tanzstunden jetzt plötzlich wieder geniessen. «Als ich wieder zurück im Tanzwerk war, dachte ich nur: Wow, ich bin jetzt einfach überglücklich», sagt Muna Qasem mit einem breiten Strahlen im Gesicht.
Mit der Bewegung sind auch ihre Gefühle wieder zurück. Statt lustlos, ist sie motiviert. Statt gereizt, glücklich. Nicht nur ihr, auch anderen Tänzerinnen gehe es so. Die dreimonatige Pause habe ihnen vor Augen geführt, dass sie am richtigen Ort sind und das Tanzen der richtige Weg für sie ist. «Der Lockdown hat mir gezeigt, wie sehr ich nicht ich bin, wenn ich nicht tanzen kann.»